Vor ein paar Tagen kam eine junge Frau auf mich zu. Ein Kollege von früher kam in den Gottesdienst. Er war zum ersten mal da und setzte sich ziemlich weit hinten hin. Er gehört zu den Menschen, die ihre freie Zeit im Pärkli verbringen und sich eher am Rand der Gesellschaft bewegen. Die junge Frau erzählte mir, dass er sich nicht wirklich wohl gefühlt hat. An diesem morgen haben wir für zwei Familie und ihre Neugeborenen gebetet. Alles war irgendwie perfekt: heile Familie, heile Kinder, heile Welt. Kein Wunder, dass sich der Kollege nicht wohl gefühlt hat – zu stark wird er mit seiner eigenen Zerbrochenheit konfrontiert.
Das Feedback hat mich getroffen, richtiggehend aufgewühlt. Wie weit sind wir doch immer noch von den Menschen entfernt, für die wir da sein wollen. Wie kann es gehen, dass wir eine Gemeinschaft sein können, in der sich die Zerbrochenen wohl fühlen, in der eine Hure sich geliebt und angenommen fühlt, in der ein Drogensüchtiger sich wert geachtet fühlt, in der eine Alleinerziehende Mutter Hoffnung findet, in der ein psychisch Kranker Freiheit erlebt, in der ein Alki Stabilität findet und seien Sucht überwinden kann.
Vielleicht fängt es dort an, wo wir selber unsere Zerbrochenheit anerkennen. Vielleicht fängt es dort an, wo wir aufhören, eine perfekte Welt zu spielen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Was passiert, wenn ich die nächste Predigt mit dem Satz beginne: „Sorry, heute habe ich etwas Mühe zu starten, weil meine Frau und ich gerade Streit hatten.“ Was passiert, wenn der Kleingruppenleiter am Tisch sagt: „Bitte betet doch kurz für mich, gestern konnte ich der Versuchung nicht wiederstehen und habe mir ein paar Prono-Clips reingezogen und mich selber befriedigt. Ich fühle mich so schlecht und möchte wieder ins Reine kommen.“ Oder was passiert, wenn die Frau, die du eigentlich bewunderst, beim Kaffee erzählt: „ich hatte so eine schlimme Woche. Die Kids waren so anstrengend und ich sah den ganzen Tag nur schwarz. Am liebsten wäre ich den ganzen Tag im Bett geblieben. Irgendwie habe ich die Woche überlebt aber ich fühle mich innerlich so leer.“
Wir müssen uns nicht schlechter machen, als wir sind. Wir müssen Tatsachen nicht schlimmer darstellen als sie sind. Und doch leben alle von uns mit Zerbrochenheit. Eine Zerbrochenheit, in der Jesus sich verherrlichen will und die anziehend ist für Menschen, die selber zerbrochen sind. Vielleicht sollte an unserer Tür ein Schild hängen: Kein Zutritt für Perfekte!
oder anders gesagt: der Weg zur Gemeinschaft für Zerbrochene führt über die Gemeinschaft der Zerbrochenen.
14. September 2009 um 7:42 Uhr
Sehr treffend und gut geschrieben! Beschäftigt mich auch immer wieder…lass uns dran bleiben!
14. September 2009 um 23:56 Uhr
Integrität – ein Wort dem in gewissen Kreisen zu wenig Beachtung geschenkt wird …
17. September 2009 um 23:13 Uhr
Und trotz allem: er kommt wieder! Mein Kollege und ich haben uns mit ihm zu einem weiteren Gottesdienstbesuch verabredet. Gott sei dank, sind nicht wir es, sondern ER, der in den Menschen etwas bewirkt und anklingen lässt.. Danke für deine treffenden Zeilen. Der Text hat mich sehr angesprochen!
22. September 2009 um 10:03 Uhr
sooo wahr und so wichtig! offenheit in der zerbrochenheit ist nicht des schweizers kultur. da braucht es tiefes vertrauen, wahre freundschaft, ernsthafte nächstenliebe…. wie gross kann eine gemeinschaft sein, in der solche offenheit möglich ist?
22. September 2009 um 16:02 Uhr
Ich würde sagen, so gross, wie Leute an einem Tisch im Gottesdienst Platz haben 😉
29. November 2009 um 22:41 Uhr
????